Aufbruch - Malerei und realer Raum

11. August bis 23. September 2012

Seit der Renaissance wurde Raum in der  Malerei mit den Mitteln der Zentralperspektive dargestellt und in Vorder-, Mittel- und Hintergrund gegliedert: So erzeugten Künstler im Bild die Illusion „realer“ Dinge.

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts stellte die Kunst das Naturvorbild als Grundlage der Malerei mehr und mehr in Frage. Verschiedene Strömungen der Abstraktion fragten nach den Mitteln und Bedingungen der Malerei selbst. Dem Gegenstand im Bild wiesen sie dabei eine geringe Bedeutung zu oder verzichteten auf ihn ganz. Damit wurde auch die klassische Perspektivkonstruktion überflüssig.

Diese Entwicklungen der 1910er und 1920er Jahre entfalteten nach dem Zweiten Weltkrieg eine große Dynamik. Bilder zu machen, ohne die traditionelle Perspektive zu verwenden und ohne im klassischen Sinne zu komponieren, statt dessen sich dem realen Raum zuzuwenden, war das Ziel einer Reihe von Künstlern nach 1945. Unabhängig voneinander und oft ohne einander zu kennen, entwickelten sie eine neue Form von Malerei, die dem Betrachter unmittelbar entgegentrat. Es ging darum, die Wahrnehmung des Betrachters direkt zu erreichen.

Dabei fanden die Künstler unterschiedliche Strategien, von der geschlossenen Bildwelt in den realen Raum vorzustoßen: Sie nutzten die Energien direkt nebeneinander gesetzter, kontrastierender Farbtöne, die zu räumlichem Flimmern und Pulsieren der Fläche im Auge führen. Künstler wie Günter Fruhtrunk, Kuno Gonschior oder Henryk Stazewski vertreten diesen Weg. Andere reicherten die Farbfläche materiell an und überführten die flache Malerei in Farbkörper oder fügten ihr reale Elemente hinzu. Künstler wie Emil Schumacher, Bernard Schultze, Arman, Antoni Tàpies oder aktuell Jürgen Meyer sind hier ebenso zu nennen wie Gerhard Hoehme oder Günther Uecker, was die Einbeziehung von malereifremden Elementen betrifft.

Andere wiederum traten der Geschlossenheit des Bildes mit malerischen Attacken entgegen, indem sie die Bildfläche aufschlitzten oder ihr mit rasanter Zeichnung so zu Leibe rückten, dass sie zum Schauplatz expressiver Kraftfelder wurde. Lucio Fontana und Arnulf Rainer sind hier exemplarisch. Wieder andere verneinten das klassische Bildformat, ließen einzelne Bildteile aus dem geschlossenen Geviert herausragen oder vertauschten die Rolle von Rahmen und Bild. Bei John Carter, Mary Heilman, François Morellet oder Leon Polk Smith ist dies beispielhaft zu verfolgen. François Morellet überzog manche seiner Bilder mit gleichförmigen Strukturen, die sich der optischen Herausbildung eines Zentrums verweigern und potentiell über die Bildgrenze hinaus fortsetzbar erscheinen. Frank Stella trieb die Verselbständigung gleichförmiger linearer Strukturen noch weiter, indem er den Bildumriss dem Verlauf gemalter Streifen oder Balken anpasste und so zu seinen „shaped canvases“ fand. Schließlich öffneten manche Künstler die materielle Kompaktheit des Bildes zur fast immateriell erscheinenden Einheit mit der Wand. Lee Ufan, Gotthard Graubner oder Noriyuki Haraguchi stehen für diesen Ansatz.  

Die Ausstellung „Aufbruch – Malerei und realer Raum“ fragt nach Strömungen der Malerei, die von verschiedenen Denkansätzen her und mit verschiedenen Mitteln in direkter Weise auf den Raum zugreift. Sie versammelt Werke von Klassikern der Malerei aus Europa und Nordamerika ebenso wie von jüngeren und weniger bekannten Malern und zeigt in 80 Werken einen Überblick der Entwicklungen vom Anfang der 1950er Jahre bis in die Gegenwart. Dabei überschreiten jüngere Künstler wie Michael Growe oder Ulrich Moskopp in ihrer Arbeit auch materiell die Grenze zur dritten Dimension, immer jedoch mit dem Fokus auf Malerei.

Einige der in der Ausstellung gezeigten Künstler wie Günter Fruhtrunk, Manfred Mohr und Henryk Stazewksi sind auch in der „Sammlung Peter

C. Ruppert  Konkrete Kunst in Europa nach 1945“ im Museum im Kulturspeicher vertreten und erscheinen in der Ausstellung „Aufbruch – Malerei und realer Raum“ in neuem Kontext.

Die Ausstellung entstand in Kooperation mit der Stiftung Situation Kunst, Bochum, der Pfalzgalerie Kaiserslautern, der Akademie der Künste, Berlin und der Kunsthalle Rostock. Es erscheint ein Katalog zum Preis von 24 Euro.

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