Zimmer, Küche, Bad.

Das Interieur in der Kunst vom Biedermeier bis zur Gegenwart

5. November 2011 - 22. Januar 2012

Das Spektrum dieser Ausstellung spannt einen Bogen vom Biedermeier bis zur Gegenwart. Werke aus dem Bestand der Städtischen Sammlung, ergänzt um einige  Leihgaben, treten in Dialog mit zeitgenössischer Kunst in Form von Video, Installation und Malerei.

Die Ausstellung gliedert sich in sechs Bereiche:

I           Schutz des Privaten. Die gute Stube

II          Ganz intim. Bei der Ankleide

III         Das Küchenstück. Am heimischen Herd und in der Schänke

IV        Ora et labora. Orte häuslicher Arbeit

V         Die Musen im Heime. Hausmusik, Lektüre und Müßiggang

VI        Inspiration und Produktion. Im Atelier

Interieurbilder bieten Einsichten in private Gemächer oder Arbeitsräume, verraten viel über das Seelenleben ihrer Bewohnerinnen und Bewohner, erzählen Geschichten und lassen interessante Schlüsse ziehen auf die Sozial- und Kulturgeschichte ihrer Entstehungszeit. Ein Interieur kann  ein bürgerliches Wohnzimmer oder eine bäuerliche Küche sein, das Studiolo eines Gelehrten oder der Arbeitsraum eines Handwerkers, ein stilles Eckchen zum Lesen oder ein heller Platz am Fenster. Mal ist es zu repräsentativen Zwecken entstanden, mal gewährt es intime Einblicke. Oft werden die Räume durch feine Licht- und Farbnuancen stimmungsvoll inszeniert, aber bisweilen entpuppt sich das Idyll als Schein, werden Dissonanzen und Brüche in der Konstruktion bürgerlicher Normen undWerte des Wohnens sichtbar gemacht.

Sehr typisch für die Zeit des Biedermeier und der Restauration nach 1848 sind die Gemälde von Ferdinand von Lütgendorff-Leinburg und Andreas Leimgrub, die detailgenau das adlige und gutbürgerliche Milieu intimer weiblicher Prägung zeigen. In ihrer völligen Abschirmung von der Außenwelt spiegeln sie die Flucht ins Private und ins Idyll. Durch die beginnende Industrialisierung und die damit einhergehende Trennung von Arbeits- und Wohnwelt entstand zu dieser Zeit das Ideal vom „trauten Heim“.

Im Fin de siècle gewinnt das seelische Innenleben an Bedeutung. Die dargestellten Personen, ihre Haltung und ihr Gesichtsausdruck, das oft stark abgedunkelte Kolorit und die Lichtführung im Raum geben Stimmungen wieder, die oft von Melancholie und der für die Jahrhundertwende typischen Endzeitstimmung und Todessehnsucht geprägt sind.

Im Impressionismus, der in der Ausstellung durch Gemälde von Künstlern der Berliner Sezession  wie Robert Breyer, Josef Oppenheimer, Emil Pottner, Heinrich Reifferscheid und Max Slevogt vertreten ist, reizen die Künstler vor allem die Reflexe des von außen eindringenden Lichts und ihre Spiegelungen im Raum.

Das Leben der Bauern und Arbeiter ist insbesondere bei Absolventen der Münchner Kunstakademie bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts ein bevorzugtes Bildthema, oft in der Tradition der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Im Unterschied zu vielen Gemälden der Ausstellung, auf denen die Bewohnerinnen und Bewohner in den jeweiligen Räumen zu sehen sind, lassen die Fotografien von Valentin Schwab, der seit Mitte der 1970er den Strukturwandel in den Dörfern seiner unterfränkischen Heimat dokumentarisch festhielt, das Gelebte nur noch atmosphärisch erahnen.

Die Gegenüberstellung von Gemälden aus dem 19. und 20. Jahrhundert im Kontrast zu Werken der Gegenwartskunst lässt beide Bereiche in einem jeweils anderen Licht erscheinen und fordert die Sehgewohnheiten der Besucherinnen und Besucher heraus. Die für diese Ausstellung ausgewählten aktuellen Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern bilden nicht das chronologische „Schlusslicht“, sondern werden in die verschiedenen thematischen Bereiche integriert und den historischen Werken direkt gegenübergestellt:

Akimos „27 Zustandsbetrachtungen eines Arbeitstisches“ sind en passant entstandene Schnappschüsse, aufgenommen mit einer Kamera aus den 80er Jahren und belichtet auf einem 36er Farbfilm, ohne jegliche digitale Bearbeitung. Sie zeigen den Tisch des Künstlers in seiner Atelierwohnung an verschiedenen Tagen zwischen Januar und April 2011 und geben völlig unverstellte Einblicke in sein Tun.

Die konstruktive Künstlerin Lilo Emmerling hat sich des Themas „Stuhl“ angenommen und lange mit Resten von Holzquadraten experimentiert. Ihre Steckmöbelobjekte sind gänzlich ohne Leim, Schrauben oder Nägel funktionsfähig, ähnlich wie der Rot-Blaue Stuhl, den Gerrit Rietveld 1918 in seiner ersten Fassung baute. Auf fast spielerische Weise lassen sich die Form der Lehne und die Farbigkeit der einzelnen Holzplatten variieren.

Als „Sehstücke“ versteht Maren Krusche ihre Malerei, mittels derer sie das Verhältnis des Menschen zu seinem Wohnraum reflektiert. Die Dingwelt, hier symbolisiert durch verschiedene Designmöbel-Klassiker, ist in Bezug gesetzt zu ornamentalen Flächen und zur Figur. Absurditäten, Brüche in der Perspektive und verschobene Größenverhältnisse irritieren den Blick, der in diesen Scheinräumen keinen Halt findet.

Ob Plastik, Resopal oder Keramik: Beate Spalthoff widmet sich den Oberflächen unserer Alltagswelt. Badewanne und Seifenstücke, Kühlschrank und Billy-Regale, selbst die legendäre Prilblume, werden in fein lasierender Acrylmalerei und Bleistiftlinien auf Leinwand zu Ikonen. Die Künstlerin spielt ironisch mit dem feinen Unterschied zwischen Bild und Wirklichkeit, die uns zwar auf den ersten Blick allzu vertraut erscheint, aber durch die Brille ihrer keineswegs grauen Grisaillen an Banalität verliert.

Die in dieser Ausstellung gezeigten Kunstwerke aus Vergangenheit und Gegenwart mögen in ihrer Vielschichtigkeit die Fülle des historisch Gewesenen und des gegenwärtig Möglichen aufzeigen und den Betrachter zur Reflexion eigener Vorstellungen anregen.

Es erscheint ein Katalog (112 Seiten, zahlreiche Abb.).

 

Wir freuen uns über die Unterstützung der Ausstellung im Rahmen der Medienpartnerschaft mit

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